Warum tinder nicht will, dass Du deine große Liebe kennenlernst

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Unge­wollt Sin­gle sein war nie beson­ders toll. Gera­de wäh­rend der kal­ten Jah­res­zeit scheint der Aus­blick mit Partner*in auf dem Sofa zu kuscheln, ver­lo­ckend – aber diese*n im Social Distancing zu fin­den uner­reich­bar. Aber zum Glück gibt es trotz Lock­down die Mög­lich­keit, Leu­te ken­nen­zu­ler­nen und das wäh­rend wir sowie­so schon am Han­dy hän­gen! Die Rede ist natür­lich vom  Online Dating. Dabei gibt es nur ein Pro­blem: eigent­li­chen wol­len tin­der, ONCE und Bum­ble gar nicht, dass Du dei­ne gro­ße Lie­be bei ihnen findest…

Es gibt nichts umsonst, denn Du bist die Ware

Dating Apps sind, wie ande­re sozia­le Netz­wer­ke und Apps, pro­fit­ori­en­tiert: Sie wol­len Geld ver­die­nen, aber wie sie das tun ist gar nicht so offen­sicht­lich. Die meis­ten Dating Apps kos­ten auf den ers­ten Blick kein Geld. Auf den Zwei­ten dann schon, wenn Du zum Bei­spiel sehen willst, wel­chen Per­so­nen dein Pro­fil gefällt. Es gibt neben der kos­ten­pflich­ti­gen Frei­schal­tung von Bonus­funk­tio­nen, aber auch noch wei­te­re Finan­zie­rungs­mo­del­le. Sie rei­chen von Wer­be­schal­tun­gen bis zu kos­ten­pflich­ti­gen Abo-Mit­glied­schaf­ten. Dafür ist es aber wich­tig, dass wir User*innen so viel Zeit wie mög­lich, in den Apps verbringen.

Die­ses Prin­zip nennt sich auch Platt­form­ka­pi­ta­lis­mus[1]. Bei der neu­en Form des Kapi­ta­lis­mus geht es dar­um, dass Platt­form-Unter­neh­men, wie zum Bei­spiel Face­book, You­Tube, Airbnb oder eben auch tin­der, eine wirt­schaft­li­che Mono­pol­stel­lung auf­bau­en und einen digi­ta­len Leis­tungs­aus­tausch anbie­ten. Also eine Per­son (oder Unter­neh­men) stellt ihre Woh­nung ins Netz und eine ande­re Per­son kann die­se mie­ten oder im tin­der-Modell: wir wer­den ver­kup­pelt. Dabei wer­den unzäh­li­ge Daten über uns gesam­melt, ver­wer­tet und ver­kauft. Und hier ist der Knack­punkt: auch wenn wir nichts kau­fen, schen­ken wir den Apps unse­re Daten. Egal, was Du angibst, dein Alter, dein Lieb­lings­film oder wel­che Pro­fi­le Du swipest, all das sind im Platt­form­ka­pi­ta­lis­mus wert­vol­le Daten. Nur des­we­gen ste­hen sie uns über­haupt „umsonst“ zu Ver­fü­gung. Die User*innen sind also gleich­zei­tig Konsument*innen und Ware der Apps. Und um sicher zu gehen, dass wir vie­le Stun­de auf unser Han­dy star­ren und Daten gene­rie­ren, haben sich tin­der und Co. eini­ges ausgedacht.

Belohnungssystem Swipen[2]

Du hast plötz­lich Herz­klop­fen nach­dem Du dei­ne ver­meint­li­che Traum­per­son nach rechts ges­wi­pet hast? Wie bei einem Glücks­spiel, ist Swi­pen Span­nung pur. Ers­tens bist Du gespannt, wer als nächs­tes auf dei­nem Bild­schirm erscheint. Zwei­tens fragst Du dich natür­lich, ob es im Ide­al­fall ein Match gibt – hach, auf­re­gend! Die Grün­der von tin­der haben sogar selbst erklärt, dass sie das Inter­face der App wie ein Kar­ten­deck, also wie ein Spiel, geplant haben[3]. Einer der Grün­der, Sean Rad, gibt zu, dass Per­so­nen tin­der gar nicht wegen der Matches down­loa­den, son­dern weil das Swi­pen so viel Spaß macht:

“They join becau­se they want to have fun. It doesn’t even mat­ter if you match becau­se swi­ping is so fun.”[4]

Und weil wir das Gefühl der Auf­re­gung – der Beloh­nung — ger­ne immer und immer wie­der haben wol­len, ver­brin­gen wir unse­re Zeit in der App:

Hier hat arte zusam­men­ge­fasst, wie das Dopa­min uns beim Swi­pen belohnt.

Dass die Apps nicht dar­auf aus­ge­legt sind, die Lie­be dei­nes Lebens zu fin­den, erkennst Du auch an der Gestal­tung des Inter­faces. Denn hier ist die Start­sei­te gleich­zei­tig die Über­sicht, um neue Matches zu fin­den und zu swi­pen. Gin­ge es statt­des­sen dar­um, Leu­te wirk­lich ken­nen­zu­ler­nen, wäre die Start­sei­te ver­mut­lich eher die Nach­rich­ten­über­sicht. Aber tin­der und Co. möch­ten, dass Du immer wei­ter swipest!

Die Start­sei­te der Dating App okcu­pid schlägt Pro­fi­le vor. Nach­rich­ten sind erst an drit­ter Stel­le priorisiert. 

Wie viel bin ich wert?

Soll­te es nicht eigent­lich auf die Inne­ren Wer­te ankom­men? Nicht bei tin­der! Eine ande­re Tech­nik, die uns anre­gen soll, viel Zeit in der App zu ver­brin­gen, funk­tio­niert mit dem Attrak­ti­vi­täts-Score. Ja, Attrak­ti­vi­täts-Scores gibt es wirk­lich! Was in der sechs­ten Klas­se noch als Mob­bing bezeich­net wur­de, ist hier schon real! Anhand von Swipes und ande­ren Fak­to­ren wer­den die Pro­fi­le in ein Punk­te­sys­tem danach ein­ge­teilt, wie „attrak­tiv“ bzw. beliebt die Pro­fi­le sind. Man­che Apps, wie ONCE, machen die Scores für die Nutzer*innen sicht­bar[5], ande­re las­sen sie im Ver­bor­ge­nen. Der eige­ne Score wird übri­gens auto­ma­tisch höher, wenn dich Pro­fi­le mit höhe­rem Score liken[6]. Wie Pro­duk­ten auf Ama­zon wer­den wir User*innen also nach unse­rer Attrak­ti­vi­tät bewer­tet, ohne dass wir Ein­fluss dar­auf haben. Nor­ma­ler­wei­se wer­den dann die Pro­fi­le gegen­sei­tig vor­ge­schla­gen, die ähn­lich ‚attrak­tiv‘ sind – aber hin und wie­der bekom­men auch die­je­ni­gen mit nied­ri­ge­ren Scores Pro­fi­le mit hohem Attrak­ti­vit­äs-Score vor­ge­schla­gen. Die als eigent­lich uner­reich­bar berech­ne­ten Pro­fi­le sol­len bei uns Hoff­nung nach „Bes­se­rem“ erwe­cken, damit wir wei­ter­hin in der App blei­ben.

Ande­re Apps, wie okcu­pid, berech­nen Kom­pa­ti­bi­li­tät anhand unter­schied­lichs­ter Anga­ben, zu Bezie­hungs­wün­schen, poli­ti­scher und sexu­el­ler Ori­en­tie­rung oder auch Inter­es­sen. Anders­rum kön­nen aber auch belieb­te oder pas­sen­de Pro­fi­le zurück­ge­hal­ten wer­den. Weil wir kei­ne Per­son vor­ge­schla­gen bekom­men, die uns gefällt, sol­len wir Bonus­fea­tures frei kau­fen, um auf einen Blick sehen zu kön­nen, wem unser Pro­fil gefällt[7] oder end­los wei­ter swipen.

tin­der hat letz­tes Jahr den Elo-Score, also den Algo­rith­mus, der vor­ran­gig auf dem Attrak­ti­vi­täts-Score beruht, abge­schafft[8]. Mit dem neu­en Algo­rith­mus wer­den vor allem Pro­fi­le bevor­zugt, die beson­ders aktiv sind – also die­je­ni­gen, die viel Zeit in der App ver­brin­gen[9]. Auch hier zeigt sich also, wo Du laut tin­der dei­ne Zeit ver­brin­gen soll­test. Trotz­dem wird auch bei dem neu­en Algo­rith­mus dei­ne Beliebt­heit mit ein­ge­rech­net. Die­se steigt, wenn Du nach rechts ges­wi­pet wirst und sinkt, wenn dein Pro­fil nach links gewischt wird. Wie genau die Algo­rith­men der Dating Apps funk­tio­nie­ren, ist nicht einsehbar.

Sorry Leute, aber nichts war je wirklich kostenlos – auch im Internet nicht!

Kurz­ge­sagt sollst Du dei­ne gro­ße Lie­be also gar nicht ken­nen­ler­nen, sonst wür­dest Du die App ja nicht mehr nut­zen. Natür­lich gibt es vie­le Bezie­hun­gen die durch Dating Apps ent­stan­den sind und gera­de durch den aktu­el­len Lock­down scheint es, als wäre es unmög­lich jemals wie­der auf ande­re Art Men­schen ken­nen­zu­ler­nen. Aber wer pro­fi­tiert am meis­ten davon? Klar, die Unter­neh­men, denn wir nut­zen die Apps stär­ker als je zuvor. Des­we­gen soll­ten wir uns unbe­dingt bewusst machen, wie wir mit unse­ren Daten und unse­rer Zeit umge­hen wol­len. Wol­len wir den Unter­neh­men hel­fen, ihre Mono­pol­stel­lung aus­zu­bau­en? Fin­den wir es ok, dass sie uns als Waren behan­deln? Was wür­den wir ändern? Und gibt es nicht schon Platt­for­men, die eini­ges bes­ser machen und die wir lie­ber nut­zen würden?


[1] Vgl. Srnicek, Nick (2018). Platt­form-Kapi­ta­lis­mus. Ham­burg: Ham­bur­ger Edition.

[2] Wenn dir eine Per­son gefällt, kannst sie nach rechts wischen (swi­pen). Tut sie das Sel­be, habt ihr ein match (dt. eine Über­ein­stim­mung) und könnt mit­ein­an­der schreiben.

[3] Vgl. Stam­pler, Lau­ra (2014). „Insi­de Tin­der: Meet the Guys Who Tur­ned Dating Into an Addic­tion“. TIME. https://time.com/4837/tinder-meet-the-guys-who-turned-dating-into-an-addiction/.

[4] Ebd.

[5] Vgl. Schul­te, Jule (2019). „CEO von ‚Once‘ Dating-App-Chef erklärt: So ent­schei­det der Algo­rith­mus, wie attrak­tiv du bist“. stern. https://www.stern.de/neon/herz/liebe-sex/once-chef-erklaert–so-entscheidet-die-dating-app–wie-wir-gematcht-werden-8790552.html

[6] Vgl. ebd.

[7] Vgl. Cour­tois, Cédric/ Eli­sa­beth Tim­mer­mans (2018). „Crack­ing the Tin­der Code: An Expe­ri­ence Sam­pling­Ap­proach to the Dyna­mics and Impact of Plat­form­Go­ver­ning Algo­rith­ms“. Jour­nal of Com­pu­ter-Media­ted Com­mu­ni­ca­ti­on. 23. S.1–16. https://academic.oup.com/jcmc/article/23/1/1/4832995

[8] Vgl. Tin­der (2019). „Powe­ring Tin­der® — Die Metho­de hin­ter unse­rem Matching“. Tin­der blog. https://blog.gotinder.com/powering-tinder-r-the-method-behind-our-matching/.

[9] Vgl. Ebd.

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