„Oh baby baby…“ Wer erinnert sich noch an Britneys Eskapaden? Vom Teen-Star zur „Verrückten“, die sich die Haare abrasiert und auf Paparazzi einschlägt… So wollten Klatsch-Magazine uns das Leben der Popsängerin zumindest verkaufen. Das zeigt jetzt die New York Times Doku Framing Britney Spears1 die seit letzter Woche auch in Deutschland zu sehen ist. Die Doku hat für viel Aufregung gesorgt, denn sie stellt dar, wie Medien seit Jahren das öffentliche Bild des Popstars formen, bzw. framen.
Was ist Framing?
Framing (dt. „ein-rahmen“) ist ein sozialwissenschaftlicher Begriff und bedeutet, vereinfacht, die Einordnung von Informationen in einen Kontext. Zum medialen Framing gehören Mittel wie Sprachauswahl, Schnitte oder Bilder. So macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob wir weibliche Personen als Mädchen oder Frauen bezeichnen. Denn mit den Begriffen assoziieren wir unterschiedliche Dinge: Mädchen lesen wir eher unschuldig und naiv, Frauen dagegen sexuell und selbstbestimmt (an dieser Stelle auch noch mal viele Grüße an Heidi Klum und ihre „Mädchen“ ;)). Framing ist erstmal relativ neutral, wir benutzen es eigentlich immer, um Zusammenhänge einfach zu verstehen. Allerdings kann Framing auch dazu genutzt werden, die Darstellung von Geschichten und Personen bewusst zu steuern und zu manipulieren – so wie bei Britney Spears.
Zunächst wurde Britney noch als „not so innocent“ Teen-Star geframt, bei der Trennung von ihrem damaligen Boyfriend Justin Timberlake wurde ihre Sexualität dann aber als bedrohlich ausgespielt: Sie soll ihn angeblich betrogen und damit die Beziehung zerstört haben. Spears Darstellung soll unter anderem dazu geführt haben, dass ihr das Sorgerecht ihrer Kinder entzogen wurde und die 39-Jährige bis heute unter der Vormundschaft ihres Vaters steht. Die Bewegung #freebritney will in den Instagram-Posts des Popstars deshalb immer wieder versteckte Hilferufe erkennen. Aber nicht nur Stars werden medial als ‚verrückt‘ und sexualisiert geframt, auch nicht-prominente Frauen – wie Amanda Knox.
Verrückte, sexuelle Monster
Die US-Amerikanerin Amanda Knox wurde 2007 während eines Auslandsemesters in Italien wegen des Mordes an einer anderen Studentin verurteilt. Deshalb saß sie vier Jahre unschuldig im Gefängnis. 2015 wurde sie in letzter Instanz freigesprochen. Seitdem wird sie in Zeitungsberichten, Talk- und Nachrichtenshows immer wieder als „Engel mit den Eisaugen“, „herzlose Manipulatorin“ oder auch „Inspiratorin von Sexorgien“ bezeichnet. Ihren damaligen Partner, der als Nebentäter angeklagt wurde, soll sie dazu gebracht haben, ihr bei der Tat zu helfen – im Gegensatz zu ihr wurde er jedoch nicht als „Monster“ oder „verrückt“ geframt. Die Netflix-Doku Amanda Knox verdeutlicht, wie ihr Aussehen und ihre Sexualität immer wieder mit der Grausamkeit des Mordes und ihrem angeblichen Geisteszustand verknüpft wurden.2
Das Framing von Amanda Knox und Britney Spears ist typisch für die Darstellung von Frauen – das wird auch Trope3 genannt. Oft wird ihre Identität mit ihrem normschönen Aussehen und ihrer Sexualität verbunden, die sie dazu einsetzten, Männer kaltherzig ausnutzen: das klassische Bild der Femme Fatal. Aber auch die tragische Darstellung als psychisch labil wurzelt tief in sexistischen und misogynen4 Vorstellungen von Frauen.
Bereits in der Antike wurden Frauen als hysterisch beschrieben. Verantwortlich gemacht wurde hierfür ihr vermeintlich wandernder Uterus. Es entstand der Mythos, dass dieser auf der Suche nach „Futter“ im Frauenkörper umherirre und letztlich das Gehirn angreife, was nur durch eine regelmäßige Besamung verhindert werden könne5 – ganz nach dem Motto: „Warum ist die denn heute so zickig? Das Einzige was der Frau helfen würde, ist mein Sperma in ihr!“ – ähm, wie bitte?! Mit der Diagnose Hysterie wurde also sexualisierte/sexuelle Gewalt und ärztliche Vergewaltigung auf Rezept gerechtfertigt.
Nicht nur Gender spielt dabei eine Rolle
Ist euch aufgefallen, dass in den Beispielen hier bisher nur von weißen Frauen die Rede war? Besonders aber Schwarze Frauen (aber auch IWoC [Indigenous Women of Color] und migrantische Frauen) sind wegen der Mehrfachdiskriminierung als Frauen und Schwarze von Gewalt betroffen – was auch Intersektionalität genannt wird. Das zeigt auf extremste Weise der Fall um Christy Schwundeck. Die 39-Jährige wurde vor zehn Jahren in einem Jobcenter in Frankfurt am Main von einer Polizistin erschossen, weil sie angeblich randaliert habe – und das, obwohl sechs Personen inklusive Sicherheitspersonal anwesend waren. Trotz sich stark unterscheidender Zeug*innenaussagen wurde die Polizistin 2012 freigesprochen. Die Beschreibungen der Polizistin Schwundecks als aggressiv, unberechenbar und furchteinflößend mit „irrem Blick“ wurden in der medialen Berichterstattung stets wiederholt.
Aber warum glauben wir solchen Schlagzeilen so einfach?
Die Kulturwissenschaftlerin Vanessa Thompson erklärt, dass hier eine vergeschlechtlichte, rassifizierte und klassenbasierte Verschränkung in der Repräsentation Schwarzer Frauen stattfindet. Auch disabilty6 habe bei Schwundecks Berichterstattung eine Rolle gespielt, wenn sie als „Verrückte“ abgestempelt und ihr damit ihre eigene Handlungsmöglichkeit abgesprochen wurde. Bei Schwarzen Frauen findet also eine Verschränkung mehrerer sozialer Kategorien (Gender, ‚Race‘ und oftmals Class und Abilty) statt, so dass die Ängste der deutschen Gesellschaft auf Christy Schwundeck als ‚kranke‘, ‚hysterische‘ und mittellose Frau, projiziert wurden. Weil die Darstellung Schwarzer Frauen als emotional und körperlich unberechenbar bereits seit dem Kolonialismus in unser Gedächtnis getragen und seitdem reproduziert wird, glauben wir den Schlagzeilen schneller (genauso wie der Mythos, dass Schwarze weniger schmerzempfindlich sind als Weiße, was u.a. ein Grund dafür ist, dass Schwarze Frauen eine 243% höhere Wahrscheinlichkeit als weiße Frauen haben, während der Schwangerschaft oder Geburt zu sterben7) . Gleichzeitig wird (Polizei-)Gewalt gegen Schwarze Frauen und non-binäre Personen weniger thematisiert als die gegenüber Schwarzen Männern (u.a. weil sie seltener im öffentlichen Raum stattfindet). Deshalb nehmen wir sie nicht als strukturelles Problem wahr.8
Dass (weiße) weibliche Sexualität als Bedrohung wahrgenommen wird, zeigt sich in der Berichterstattung um Britney Spears und Amanda Knox, diejenige von Schwarzen Frauen gilt jedoch als noch unberechenbarer und damit als noch bedrohlicher (für weiße Männer). Wer von euch Millennials erinnert sich noch an die erste Superball-Show 2004, als Justin Timberlake Janet Jacksons Brüste entblößte? Iconic! Die YouTuberin Khadija Mbowe erklärt, dass Janet danach so dargestellt wurde, als hätte sie den jüngeren und weißen Justin schamlos für ihre Show ausgenutzt (ja, schon wieder der arme hilflose Justin9. Dieser Stereotyp der sexuell-bedrohlichen und animalischen Schwarzen Frau wird auch „The Jezebel“ genannt und dient bis heute dazu, die sexualisierte und sexuelle Gewalt (v.a. weißer) Männer an Schwarzen Frauen zu rechtfertigen (nach dem Motto: „Das ist doch das, was ‚die‘ wollen“).
Das Framing von Frauen bedient sich also immer bereits bestehender gesellschaftlicher Vorstellungen davon, wie Frauen „funktionieren“ oder zu sein haben. Sexistische, misogyne Vorstellungen knüpfen sich an die mediale Darstellung und beeinflussen aktiv Lebensrealitäten mit – wie hier die drei Beispiele und ihre juristischen Verfahren zeigen. Deshalb müssen wir lernen, diese Muster zu erkennen und hinterfragen, warum wir Geschichten von „verrückt gewordenen Frauen” so einfach für wahr halten.
Abschließend sei noch vermerkt, dass natürlich auch Dokus wie Framing Britney Spears und Amanda Knox framen, wie die Frauen wahrgenommen werden. Der Konsum von medialen Darstellungen erdordert deshalb auch die Reflexion darüber, aus welcher Perspektive erzählt wird und welche Agenda dahinter steht.
- Vgl. „Framing Britney Spears“. The New York Time Presents. 1.6. FX/ FX on Hulu (Veröffentlichung: 05.02.2021). Regie: Samantha Stark. ↩
- Vgl. Amanda Knox. USA 2016, Regie: Rod Blackhurst, Brian McGinn, 92 min. Netflix. ↩
- Tropes sind rhetorische Mittel, die auf (eigentlich) fiktive Figuren angewendet werden, um die Narration zu gestalten. Ein Beispiel für die stereotype Darstellung von Frauen sind die „Jungfrau in Nöten“ oder das „Mädchen von nebenan“. ↩
- Frauenfeindlich ↩
- Vgl. Jutta Kollesch, Diethard Nickel: Antike Heilkunst. Ausgewählte Texte aus dem medizinischen Schrifttum der Griechen und Römer. Philipp Reclam jun., Leipzig 1979 (= Reclams Universal-Bibliothek. Band 771); 6. Auflage ebenda 1989. ↩
- Able-bodied ist eine Bezeichnung für Körper, die gesellschaftlich als psychisch und physisch gesund gelten. Ableismus die davon abgeleitete Diskriminierungsform. ↩
- Vgl. Martin, Nina/ Renee Montagne (2017). „Lost Mothers: Nothing Protects Black Women From Dying in Pregnancy and Childbirth“. ProPublica, and, NPR News. Online verfügbar unter: https://bit.ly/3tDhhko (22.04.2021). ↩
- Vgl. „Die Geschichte des Schwarzen Feminismus –Rassismusforscherin Vanessa Thompson“. Hörsaal – Deutschlandfunk Nova. Spotify (Veröffentlichung: 4. April 2021) Online verfügbar unter: https://spoti.fi/33EnWQH ↩
- Justin Timberlake hat sich dieses Jahr übrigens öffentlich sowohl bei Janet Jackson als auch bei Britney Spears entschuldigt: https://www.instagram.com/p/CLMxYbGhTno/ ↩