Social Media hilft uns dabei, uns zu vernetzen und in Kontakt miteinander zu bleiben, gerade in pandemischen Zeiten ist das sehr praktisch – insbesondere für Mütter! Wie aber in jeder anderen sozialen Situation neigen wir auch online zur Selbstinszenierung. Schon der Soziologe Erving Goffman wusste, dass wir das tun, weil wir immer in bestimmten sozialen Rollen handeln und dadurch mit verschiedenen (gesellschaftlichen) Erwartungen und Routinen konfrontiert sind.
Wer bin ich und wer möchte ich sein?
Im Wechselspiel mit Anderen formen wir unsere Identität1. Unser Gegenüber dient uns dabei zum Abgleich der eigenen Perspektive: »Kommentare und ›Gefällt mir‹-Angaben unter einem Eintrag sind daher immer auch soziale Signale«2. So weit so klar: Allerdings gibt es auch soziale Signale, die zu weit gehen! Das ist der Fall beim Mom-Shaming, über das wir mit Lovis Messerschmidt – Influencerin und Mutter von drei Kindern – sprechen durften:
»Wenn es eine große Differenz zwischen dem eigenen Erziehungsstil und der Person, der man zuschaut – also mir – gibt, dann verunsichert das. Dann wird das kommuniziert. Und diese Kommunikation ist oft einfach unglücklich und oft auch sehr verurteilend.«
Im Grunde ist Shaming nichts anderes, als der Versuch, eine Person zu beschämen, um die eigene Sicht der Dinge zu bestätigen. Denn Scham empfinden wir für gewöhnlich dann, wenn wir gegen Konventionen verstoßen haben3 – insofern dient Scham der (Wieder-)Herstellung sozialer Konformität4.
»Immer wenn ich roten Lippenstift trage, bekomme ich eins, zwei dumme Nachrichten dazu, ob das nicht ein bisschen too much ist als Mutter im Alltag, ›muss man sich denn so aufbrezeln‹ oder sowas.« – Lovis Messerschmidt
Immer wenn geshamt wird, sagt das also viel über das Selbst- und Weltbild der Person aus, die es meint, besser zu wissen – aber auch über unsere gesellschaftlichen Vorstellungen von Eltern- bzw. Muttersein. Deshalb müssen wir uns dringend die Frage stellen, was wir von Müttern erwarten, wenn schon roter Lippenstift für manche eine solche Provokation darstellt, dass sich Menschen dazu berufen fühlen, die Trägerin dafür zu shamen – nur weil sie (auch) Mutter ist.
Frau = Mutter?
»In der Krise erleben wir einen Rückfall auf eine Rollenteilung wie zu Zeiten unserer Großeltern«5. Dass eine Familie gründen und Kinder bekommen ein Katalysator für vermeintlich längst überkommene Rollenklischees ist, war auch schon vor der Corona-Pandemie so – Familie und Geschlecht sind eng miteinander verknüpft6. Es gilt: Freiheits- und Gleichberechtigungsbestreben hin oder her, in den allermeisten heterosexuellen Paarbeziehungen ist es letztendlich doch die Frau, die die Hauptbetreuung der Kleinen übernimmt. Nach der Geburt ihres ersten Kindes ist die Frau dann vor allem Mutter. Gleiches gilt aber nicht für den Mann!
Hier liegt eine der vielen Ungerechtigkeiten: »Frauen sind nicht nur die Hauptbetreuerinnen ihrer Kinder, sondern auch Mütter ihrer selbst wegen«8. Ergo sind Weiblichkeit und Mutterschaft im gesellschaftlichen Verständnis aufs Engste miteinander verwoben9. Frauen, die keine Kinder wollen oder ihre Entscheidung Kinder zu bekommen gar bereuen, werden verurteilt10. Es ist also nicht nur der Wunsch, Kinder zu bekommen, der an Weiblichkeit gebunden wird, sondern auch die immerwährende Freude am Muttersein: Eine gute Mutter hat natürlich auch jederzeit Spaß an ihrer Rolle (zu haben). Dass eine Mutterrolle aber nicht immer nur Vergnügen bedeutet, sollte allgemein bekannt sein. Oft ist es eben auch anstrengend, nervenaufreibend, kräftezehrend oder schlicht überfordernd. Und das zeigt die Corona-Pandemie, während Schulen und Kitas über längere Zeit geschlossen sind, jetzt noch deutlicher. Obwohl hierüber wiederholt medial berichtet wurde und sich so etwas wie ein Diskurs abzeichnet, stehen Mütter unter erhöhtem Druck zu performen – nicht nur jetzt, aber jetzt ganz besonders. Und das liegt eben an unseren gesellschaftlichen Bildern von Mutterschaft, die hübsch gestaltet und schön in Szene gerückt, besonders in den sozialen Netzwerken zu bestaunen sind.
Instagram: zwischen Mitmachen und Ausgrenzen
Für gewöhnlich veröffentlichen wir auf Instagram das, was andere gerne sehen sollen – also vor allem schöne Momente: im Urlaub, mit Freund*innen, beim Essen. Dabei orientieren wir uns an einer Werbeästhetik, damit unsere Postings möglichst viel Beachtung finden und wir in einem guten Licht dastehen11. Im Prinzip befinden wir uns in einem ständigen Wettbewerb, wodurch wir potenziell mehr Kritik ausgesetzt sind. Insbesondere Accounts mit einer großen Follower*innenschaft und viel Reichweite sind ständig mit mehr oder weniger konstruktiver Kritik konfrontiert, wozu auch Mom-Shaming gehört.
Dabei fängt die Kritik bei uns selbst an. Wenn frau sich fragt »Was mache ich bloß falsch?«, kann das inneres Mom-Shaming sein. »Wenn das Baby schreit, wenn es sich nur schlecht beruhigen lässt, wenn die Mutter Haushalt, Wochenbett, große Kinder, Arbeit oder Fitness nicht unter einen Hut bekommt, dann fühlt sie sich unzulänglich – was auch daran liegt, dass sie sich immer mehr vergleicht«12, erklärt die Therapeutin Katharina Pommer, die selbst Mutter ist. Dieses Unzulänglichkeitsgefühl hat seinen Ursprung oftmals nicht nur in einem unrealistischen Blick auf die eigene Umwelt – denn Instagram zeigt immer nur Ausschnitte und ob diese tatsächlich wirklichkeitsnah sind, ist eine andere Frage –, sondern auch in gesellschaftlich geprägten Erwartungshaltungen, die an die eigene Person als Mutter gestellt werden: Mütterlichkeit solle Frauen als vermeintlich angeborene Eigenschaft leicht von der Hand gehen.
Hinzu kommt Kritik von außen, die sich ebenfalls an den gesellschaftlichen Vorstellungen und Routinen orientiert. Hierbei handelt es sich um eine andere Form des Mom-Shamings, die auf einer personalen, strukturellen oder kulturellen Ebene stattfinden kann. Vermeintlich banale, gut gemeinte Ratschläge im direkten Austausch wie »Das Kind zu stillen ist ganz wichtig für die frühkindliche Entwicklung – das solltest du auch machen!« werden dann schnell zu verbalen Übergriffen, die Müttern, die nicht stillen können oder wollen, suggerieren, dass sie etwas falsch machten oder gar schlechte Mütter wären. Problematisch sind dabei vor allem die beiläufigen, ungefragten Einmischungen – offline wie online –, die den Kontext missachten.
Bilder die nicht zum eigenen Weltbild passen
Die Funktionsweise von Instagram lädt zum Bewerten ein. Hier kann (und soll) jeder mitreden. Durch Likes, Emojis, Kommentare und Interaktionen des Accounts mit seiner Zielgruppe kann dieser seine Reichweite steigern. Aber es verleitet eben auch dazu, Ratschläge zum Umgang mit Kindern, die nicht die eigenen sind, abzuladen. Besonders prädestiniert sind hierfür Kommentarspalten unter Bildern großer Profile. Beispiele hierfür gibt es zuhauf:
Unter einem Posting von Rebecca Mir, die neben ihrer Tätigkeit als Moderatorin und Model jetzt auch eine Mutterrolle auszufüllen hat, sammelten sich Bemerkungen einiger Follower*innen und Instagram-Nutzer*innen wie: »Es ist ja wirklich ein schönes Bild. Aber ich habe Frau Mir so sehr für ihre Fotos bewundert, weil sie sich nicht wie alle anderen als nackte Schwangere zeigt. Schade, dass sie doch ist wie alle anderen« oder »Hast du keine stolz [sic] und Ehre als Mutter du bist so lächerlich als Frau wie kannst du dich so präsentieren«.
Beim Kommentieren projizieren die Besserwisser*innen ihre eigene Sichtweise, wie eine Mutter zu sein hat, auf eine andere Person – in dem Fall Rebecca Mir. Geshamt wird, wenn das Gesehene nicht zum eigenen Weltbild und den darin vertretenen Meinungen und Vorstellungen passt. Hier kollidieren Rollenvorstellungen miteinander – Mütterlichkeit und Sexyness vertragen sich in den Augen der Besserwisser*innen nicht. Letztlich kann das Mom-Shaming dazu führen, dass die Geshamten sich selbst auf Grundlage der Irritation hinterfragen. Das sorgt für psychischen Stress. Der darf jedoch nicht gezeigt werden, denn Muttersein soll ja Freude bereiten.
Bestärken statt shamen: #coolmomsdontjudge
»Eine Mutter kann es nicht allen recht machen. […] [Auch] Scheitern muss anerkannt werden. Wenn wir das nicht tun, wird der Druck immer höher«13. Dass Muttersein eben viel mehr ist als ein ständiges Wohlgefühl und eine Frau neben ihrer Mutterrolle eben auch noch andere Rollen ausfüllt, sollte deshalb endlich gesellschaftlich anerkannt werden! Unter den Hashtags #fürmehrrealitätaufinstagram, #noshameinyourfeedinggame und #coolmomsdontjudge tuen sich Influencer*innen und Mütter auf Instagram zusammen, um sich gegen Mom-Shaming und für mehr Solidarität mit und unter Müttern einzusetzen. Dabei geht es vor allem darum, diverse Vorstellungen von Mutterschaft anzuerkennen und auch mal die weniger schönen Momente zu zeigen – selbst wenn das Überwindung kostet.
Wir haben mit Momfluencerin Lovis Messerschmidt über das Thema Mom-Shaming gesprochen: Wie sie damit umgeht und welche Erfahrungen sie auf Instagram gemacht hat, erfahrt ihr in unserem nächsten Artikel! Wenn ihr den als Erste lesen wollt, abonniert hier kostenlos unseren Newsletter:
- Vgl. Schmidt, Jan-Hinrik (2018): Social Media. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer VS, S. 33. ↩
- Ebd., S. 34 ↩
- Vgl. Blumenthal, Sara-Friederike (2014): Scham in der schulischen Sexualaufklärung. Eine pädagogische Ethnographie des Gymnasialunterrichts. Wiesbaden: Springer VS., S. 15. ↩
- Vgl. Scheff, T. J. (1988): Shame and Conformity: The Deference Emotion System. In: American Social Review, Vol. 53, No.3, S. 400 f. ↩
- Allmendinger, Jutta (2020): Die Frauen verlieren ihre Würde. Zeit. Online verfügbar unter: https://bit.ly/3tl1mrA, zuletzt abgerufen am: 14.04.2021. ↩
- Vgl. Helfferich, Cornelia (2017): Familie und Geschlecht. Eine neue Grundlegung der Familiensoziologie. Opladen & Toronto: Verl. Barbara Budrich. ↩
- Statistisches Bundesamt (2020): Vollzeit- und Teilzeitquote von erwerbstätigen Männern und Frauen mit minderjährigen Kindern im Haushalt im Jahr 2019, zit. nach statista, zuletzt abgerufen am: 07.05.2021. ↩
- Donath, Orna (2017): Regretting motherhood. A study. Berkeley, California: North Atlantic Books. Sinngemäß aus dem Englischen übersetzt – Original: „(W)omen not only are the main caregivers of their children, but are also mothers in themselves.“ ↩
- Vgl. Halatcheva-Trapp, Maya (2018): Rationalität und Relationen. Zum Verhältnis von Weiblichkeit und Mütterlichkeit aus wissenssoziologisch-diskursanalytischer Perspektive. In: Langer, Antje; Mahs, Claudia; Rendtorff, Barbara (Hrsg.): Weiblichkeit – Ansätze zur Theoretisierung. Opladen; Berlin; Toronto: Verl. Barbara Budrich, S. 125 f. ↩
- Halser, Marlene; Donath, Orna (2016): „Es geht immer nur um die Kinder“. Soziologin über Regretting Motherhood. taz. Online verfügbar unter: https://bit.ly/3uWDI52, zuletzt abgerufen am: 14.04.2021. ↩
- Vgl. Schreiber, Maria; Kramer, Michaela (2016): „Verdammt schön“. Methodologische und methodische Herausforderungen der Rekonstruktion von Bildpraktiken auf Instagram. ZQF – Zeitschrift für Qualitative Sozialforschung. 17. Jg., Heft 1_2/2016, S. 101 ↩
- Schulte, Leonie; Pommer, Katharina (2020): Bindungstherapeutin: „Für viele Mütter ist Mom-Shaming schon fast normal“. Redaktionsnetzwerk–Deutschland. Online verfügbar unter: https://bit.ly/2Q7BxNm, zuletzt abgerufen am: 16.04.2021. ↩
- Eva Tolasch (Soziologin) in der WDR-Doku Momshaming – Konkurrenzkampf mit Kinderwagen. Online verfügbar unter: https://bit.ly/3b8Jmtr, zuletzt abgerufen am: 21.04.2021. ↩