Wer nur flüchtig durch Lovis Messerschmidts Instagram Account durchscrollt, könnte meinen, dass hier das ideale Instagram-Leben abgebildet wird: perfekt unperfekte Blumenarrangements, Vintage, lachende Kinder im hübschen Sonnenlicht. Seit fünf Jahren postet die 32-jährige, wie sie selbst sagt, aus dem kleinen Disneyland namens Schwerin. Wer nicht nur flüchtig ihre Bilder anschaut, sondern auch die Texte liest, der merkt allerdings schnell: Die Darstellung von Lovis und ihrer Familie ist gar nicht mal so Disney-like. Es ist ihr Alltag und Struggle als Alleinerziehende von drei Kindern, den sie täglich mit über 30.000 Follower*innen teilt. Mit diesem kleinen, aber möglichst authentischen Einblick in ihr Leben, möchte sie andere Mütter empowern und dazu anleiten, an sich selbst zu glauben. »Ich kann das nicht« oder »dazu brauche ich einen Mann«, gibt es bei Lovis nicht. Ihr Instagram-Account soll Rollenklischees abbauen und trägt das große Wort mit F auch direkt in der Bio: Feminismus. Klar, das kommt im Internet nicht nur positiv an.
im Kontext Redakteurin Lea hat mit ihr gesprochen und sie gefragt, wie sie mit der Kritik und dem Mom-Shaming, was sie tagtäglich erreicht, umgeht:
Würdest du dich als Momfluencerin beschreiben?
Unfreiwillig bin ich das. Ich bin eben Mutter und das spielt auch eine Rolle. Das bekomme ich auch als Feedback von Follower*innen, dass ich schon eher ein unkonventionelles Mutter-Dasein pflege, das aber viele als angenehm empfinden. Mein Sohn wird 12. Ich bin mit 21 Mutter geworden. Dann komme ich irgendwie aus der Kunst – ist irgendwie nicht so der klassische Werdegang –, schon relativ früh geschieden und solche Sachen… Ich glaube, es braucht auch solche Mütter, einfach um die Diversität von Mutterschaft zu zeigen.
Wie wird das aufgenommen, dass du versuchst, »alle« Seiten des Mutter-Seins zu zeigen?
Zu 97 Prozent total positiv. Und dann gibt es immer mal so paar Stimmen, die sagen: »Ist ja alles hausgemacht die Problematik«, »hättest ja nicht so früh Kinder kriege müssen«, »hättest dich ja nicht so früh trennen müssen«, »immer dieses Rumgeheule«, »check mal deine Privilegien, du bist normschön und erfolgreich, deine Kinder sind gesund.« Dann sage ich: »Ich weiß, dass es mir sehr, sehr gut geht. Aber ihr wisst auch vieles nicht.« Ich sage nicht, ob mein Background migrantisch ist oder nicht, ob meine Kinder gesund sind oder nicht. Das kommuniziere ich nicht, das geht zu weit.
Also schon überwiegend positiv, aber es gibt auch Stimmen, die sagen, dass es mir zu gut geht – für meine Situation.
Wie kommt die Kritik bei dir an und wie gehst du damit um?
Je nach Thema bekomme ich das dann als Direktnachrichten. Ich reagiere darauf auch und gehe in den Dialog. Es gibt natürlich sachliche Kritik, die ich mir zu Herzen nehme. Also bei berechtigter Kritik bin ich am Start und lasse mich auch gerne auf Diskussionen ein, aber bei so destruktiven, negativen Sachen… zum Beispiel: Immer, wenn ich roten Lippenstift trage, bekomme ich eins, zwei dumme Nachrichten dazu, ob das nicht ein bisschen too much ist als Mutter im Alltag, »muss man sich denn so aufbrezeln« oder sowas. Da denke ich mir so: Was ist dein Problem? Mach dir doch einfach selbst Lippenstift drauf oder lass es. Lass mich Lippenstift tragen, wenn ich Bock dazu hab. Also wenn ich merke, dass da jemand nur seinen Groll bei mir ablädt, blockiere ich die Person auch. Insgesamt kann ich Kritik aber gut von mir abgrenzen, weil ich weiß, dass die Menschen mich nicht wirklich kennen. Die Follower*innen können ja gar nicht nachvollziehen, wer ich in all meinen Facetten bin. Deswegen greift mich das auch nicht an. Das sind für mich fremde Menschen.
Da sind wir ja schon total beim Thema Mom-Shaming.
Ja, meine Tochter hat zum Beispiel sehr lange einen Schnuller getragen. Das ist von Zahnärzt*innen nicht empfohlen. Ich sehe das locker. Ich bin insgesamt eine ziemlich lockere Mom, was so altersgerechte Entwicklung angeht. Ich könnte das natürlich rausschneiden, wenn man sie sieht – ist mir aber ehrlich gesagt zu doof. Sie hat ja diesen Schnuller. Das ist so eine klassische Situation von: »Sind dir ihre Zähne nicht wichtig?!«
Wenn es eine große Differenz zwischen dem eigenen Erziehungsstil und der Person, der man zuschaut – also mir – gibt, dann verunsichert das. Dann wird das kommuniziert. Und diese Kommunikation ist oft einfach unglücklich und oft auch sehr verurteilend. Wenn etwas für die andere Person richtig ist, heißt das nicht, dass das für uns richtig ist.
Schön, dass du dich davon abgrenzen kannst und das schaffst. Bei deiner Reichweite ist das bestimmt nicht so einfach…
Naja dadurch, dass das Positive so überwiegt, stört mich das Negative auch weniger. Also ich weiß nicht, ob mich das sonst einschüchtern würde, aber ich scheue mich nicht davor, eine Diskussion aufzuwerfen oder eine unpopuläre Meinung zu haben. Da stehe ich zu mir selbst. Bettgehzeiten und Stillen war auch lange ein Thema. Ich habe die Kleine sehr lange gestillt – dreieinhalb Jahre. Damals hatte ich noch nicht so eine Reichweite. Da habe ich auch mal Videos gepostet, wie ich sie stille und dann war das auch so: »Möchtest du nicht mal langsam…«, »Und wie soll das werden, wenn sie in den Kindergarten geht?« Ich dachte: Sie geht seit zwei Jahren in den Kindergarten. Ich stille sie trotzdem nachmittags. Das ist einfach immer dieser Vergleich mit sich selbst. Ich finde das sehr unnötig.
Hebt Social Media den Vergleich auf ein krasseres Level?
Ja, ich habe auch mal in einem Post geschrieben, dass mich das total verunsichert hätte, wenn ich in Zeiten von Social Media das erste Mal Mutter geworden wäre. Weil ich meine zwei ersten Schwangerschaften und die Babyzeit komplett ohne diesen Input hatte und da immer total intuitiv gehandelt habe. Davon profitiere ich jetzt total, weil ich mich immer noch viel auf mein Bauchgefühl verlasse und wenig auf die Meinung von anderen Leuten gebe.
Einer der schlimmsten Hashtags ist, meiner Meinung nach auch, #stillenistliebe. Ne: Alles ist Liebe. Flasche geben ist auch Liebe. Aber #coolmomsdontjudge: Ich habe nie eine Frau verurteilt, die eine Flasche gegeben hat und vor Social Media hatte ich auch ein Flaschenkind.
Kannst du ein persönliches Fazit zu Social Media ziehen – also bezüglich positiver oder negativer Konsequenzen speziell für Mütter?
Also mein erster Impuls ist, dass ich es eher als negativ empfinde. Ich glaube, wenn man gesund und gesichert in diese Social-Media-Welt eintritt und bei sich ist, dann hat man einen Mehrwert davon, weil man sich vernetzt und austauschen kann. Ich glaube aber, wenn man unsicher ist und auf der Suche nach Bestätigung oder nach ultimativen Ratschlägen, dann ist es eher gefährlich und sorgt für Verunsicherung. Als Beispiel: Meine beste Freundin – wir sind gleichalt – hat jetzt ihr erstes Baby bekommen. In der Schwangerschaft hat sie sich Instagram installiert und dann auch zum ersten Mal gecheckt, was ich da so treibe. Sie meinte auch: »Lovis, Du musst mir ein Potpourri an Mombloggerinnen nennen, denen ich folgen kann, ich krieg‘ sonst Beklemmungen, so in diesen Mutterblasen«. Sie hat gesagt, das schüchtere sie nur ein. Sie kriegt nur Angst, wie das werden soll, wenn sie immer perfekte Apfelschnitze parat haben muss und die ganze Zeit lächeln. Und wenn ihr Freund abends von der Arbeit kommt, dass sie dann hübsch mit ein bisschen Highlighter auf den Wagenknochen in der Küche steht und schon gekocht hat.
Ja, Wahnsinn was das für klischeehafte Rollenbilder auch wieder hervorgerufen hat.
Ja genau. Ich habe ihr dann auch echt ein paar Leute empfohlen. Das mache ich auch immer mal wieder in Stories, dass ich so ein paar coole Moms zusammenstelle, die alle natürlich nicht viel Reichweite haben. Das muss ich dazu sagen. Die großen Mütterprofile, die mit über hunderttausend Follower*innen, das sind alles #Heileweltaccounts. Das wird anscheinend auch gewollt. Im Gegensatz dazu schreibt bspw. @juli.junikind so gut und pointiert über Mutterschaft. Da fühle ich mich total abgeholt. Ich weiß einfach als Konsumentin, dass es in Ordnung ist, fertig zu sein, sein Kind mal scheiße zu finden (lacht) und einfach auch aus dieser Rolle mal ausbrechen zu wollen und nicht immer 24/7 am Start zu sein. Und das ist, glaube ich, das, was Mütter wirklich brauchen, dass sie hören, dass das in Ordnung ist und nicht das Gegenteil. Nicht dieses, dass alles schön ist, Stillen Liebe ist und du eine schlechte Mutter bist, wenn du kein Bock auf Stillen hast.
Und was ich noch sagen muss: Man muss als Konsument*in differenzieren, dass wir – also wir Influencer*innen – davon leben. Meine Kinder hätten zum Beispiel keine 90€ Schuhe, wenn ich nicht Influencerin wäre. Ich hätte kein Naturkosmetikpuder für 80€, wenn ich nicht Influencerin wäre. Das muss man differenzieren – gerade von dieser kapitalistischen Seite betrachtet. Natürlich ist es krass! Man denkt halt, wir leben alle im totalen Reichtum, aber es ist halt der Job, das zu bewerben. Das muss einem bewusst sein. Die Leute sind nicht unendlich reich, die kriegen nur echt teure Produkte zugeschickt, damit sie die bewerben.
Ich glaube, das ist natürlich echt schwierig für viele, das immer zu differenzieren. Vor allem, wenn das so hochwertige Produkte sind. Dann da noch diesen Absprung zu schaffen und zu sagen: »Das ist nun mal ihr Job und sie bekommt das geschenkt«.
Ja und es ist einfach verrückt. Ich kenne die andere Seite. Mir ist die durchaus bewusst. Deswegen verstehe ich dieses Unwohlsein von so einem teuren Lebensstil. Das empfinde ich übrigens auch nicht als Hate. Da denke ich mir: Okay, ihr struggelt wahrscheinlich gerade finanziell total – scheiß Corona – wahrscheinlich Kurzarbeit und Elterngeld und alles total am Arsch. Kann ich verstehen, wenn man mich dann scheiße findet, wenn ich so ein teures Produkt in die Kamera halte (lacht). Ich hätte mich auch vor zehn Jahren scheiße gefunden.
Was würdest du einer Mutter, die jetzt ein Kind bekommt, und mit Social Media konfrontiert ist, raten?
Zum einem würde ich sagen, man sollte sich einfach mit Älteren unterhalten – vielleicht sogar mit der eigenen Mutter, wenn man ein gutes Verhältnis hat. Weil man dann checkt, was ein »Offline-Baby« gebraucht hat. Und dann einfach auf das eigene Bedürfnis und sich selber achten. Einfach auch mal da raus gehen, also sich zurücknehmen. Das ist jetzt natürlich schwer mit Corona. Frauen davor hatten Krabbelgruppen und Schwangerschaftskurse und konnten sich auch analog viel austauschen. Jetzt ersetzt Social Media für viele werdende Mütter genau das. Ich glaube, man sollte auch einfach für sich selbst Offline-Zeiten einräumen. Ich erachte das als super wichtig, dass man darauf achtet, wie sehr man sich in diesen Sog begibt. Wem folge ich? Kritisch hinterfragen, was mir diese Person gibt. Gibt die mir nur Produktempfehlungen, geht es da nur ums Konsumieren oder bekomme ich auch Hilfestellungen fürs Herz, also fürs Gefühl? Was ist wichtig? Am Ende ist es wichtig, dass man seinem Kind Nähe und Liebe schenkt und sich eingesteht, dass es in Ordnung ist, unperfekt zu sein. Kein Kind braucht eine perfekte Mutter.
Vielen Dank Lovis, für den tollen Austausch und die Einblicke in deinen Instagram-Alltag!