Gastautor*in: Team Politikerei I
Eine verschleierte Muslima die sich ihrer Sexualität „hingibt“? Eine scheinbar unvereinbare Vorstellung, die Reize schaffen kann und gleichzeitig mit Tabus bricht. Zeigt sich hier im Porno die Sehnsucht nach dem „Fremden“? Und für wen erzeugt dieser Anblick des scheinbaren Widerspruchs sexuelle Befriedigung?
Disclaimer: Im Folgenden Beitrag geht es um Themen der Sexualität, sexualisierte Gewalt und rassifizierende Diskriminierung. Hier soll das Medium „Pornografie“ nicht verpönt, sondern ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, mit welchen Bildern und Mitteln die Industrie arbeitet und welche gesellschaftlichen Auswirkungen die Darstellung haben kann. Vielmehr soll der Fokus auf die Sensibilisierung gerichtet und erörtert werden, wie ein entsprechender Umgang mit herabwürdigenden Bildern aussehen kann.
Was sehen wir?
Eine Frau trägt ein Hijab und weite Kleidung. Sie arbeitet meist in einfachen Berufen, besitzt keine amtlichen Papiere und verfügt sprachlich über wenig Deutschkenntnisse. Sie wirkt meist schüchtern und hilflos. Ein weißer cis1 Mann erscheint, der Geld für sexuelle Handlungen anbietet und sich dadurch die „verbotene“ Leistung erkaufen kann. Befriedigt die Muslima seine Wünsche nicht, dann droht Gewalt, Bestrafung und Erniedrigung.
Das hier beschriebene ist ein populäres Szenario des Interracial‑, Refugee- oder Hijab-Pornos. Das sind geläufige Pornogenre die sich häufig antimuslimischen Rassismen und einer herabwürdigen-stereotypischen Darstellung der Frau bedienen. Der Rassismus-Forscher Kempen erklärt: „Die Frau wird entlang der Kategorien Herkunft, Klasse, Religion und Geschlecht (intersektional) abgewertet, um den weißen Mann im Gegenzug doppelt aufzuwerten: als Gewinner und Retter“.2 Die weiße männliche Dominanz ist bis zum Ende der Handlung präsent und dient dazu die scheinbar fragile weiße Männlichkeit durch solche Wiederholungen im Porno zu stabilisieren.
Wer steckt hinter der Kamera?
Möchte Mensch verstehen woher diese Muster kommen, dann muss in erster Linie darauf geachtet werden, wer die Kamera bedient und mit welchem Blick diese Person durch die Linse schaut. Laura Mulvey (1975) nannte dieses Phänomen: (white) Male Gaze3. Denn die Person hinter der Kamera wird meist als männlich, weiß, able-bodied4, heterosexuell und cis gelesen. Diese Person projiziert ihre eigene Fantasie — für ein Publikum ihresgleichen — auf die Bildfläche. Der Blick durch die Kamera ist somit nie objektiv, sondern wird immer von der persönlichen Identität sowie von der eigenen sexuellen Fantasie geprägt.
Der treibende Motor für die Wiederholungdieser Muster sind sogenannte Enthüllungsfantasien: „Was verbirgt sich hinter dem Verschleiertem?“ Das Geheimnis muss durch den weißen cis Mann entdeckt und gelüftet werden. Dieser besagte Drang nach Entschleierung und die Suche nach der vermeintlichen Wahrheit haben eine lange Tradition: Kolonialismus.
Das lässt sich an einem anderen Beispiel gut erklären: an unserem kolonialisierten Blick auf den „Orient“. Unsere westliche Perspektive auf „den Orient“ grenzt die westliche Kultur vom ‚Anderen´(dem Orient) ab. Diese Perspektive ist sehr machtvoll, fühlt sich überlegen und dominant und wird auch als „Orientalismus“ beschrieben. Um es mit der Theorie von Edward Said (1978) zu erklären: „Die Strategie des Orientalismus fußt fast durchgängig auf einer so flexiblen angelegten Position der Überlegenheit, dass sie es dem Westler erlaubt, in allen möglichen Beziehungen zum Orient stets die Oberhand zu behalten“.5
Dabei ist Andersartigkeit nichts Natürliches. Das „Andere“ wird immer erst konstruiert, also von Menschen gemacht. Das wird in dem Konzept „Othering“ deutlich. Theoretische Grundlagen zu diesem Phänomen, wurden vor allem von Edward Said und Gayatri C. Spivak geprägt, die aus der postkolonialen Theorie stammen. Bei dem Konzept handelt es sich um einen Prozess der Grenzziehung, woraus zwei Gruppen entstehen: „Wir“ und die „Anderen“. Das „Andere“ ist ein Konstrukt, das von der „Wir“-Gruppe durch eine stereotypische Darstellung „gemacht“ wird. Das „Wir“ wird dem „Anderen“ als überlegen konstruiert, wobei das „Andere“ aber oft vor allem körperlich (also auch sexuell) erhöht und als ‚exotisch‘ fetischisiert wird.
Fetischisierung des Kopftuchs
In Hijab-Pornos wird die Kopfbedeckung von muslimisch-gelesenen Personen rassifiziert6. Diese impliziert Religiosität, Andersartigkeit und Verbotenes. Der weiße cis Mann möchte das Geheimnis lüften und entdecken, was sich darunter verbirgt. Mit der Inszenierung einer penetrierten Muslima, wird das Tabu der Enthaltsamkeit gebrochen und ein Reiz geschaffen. Das Hijab macht den Porno aus: „Man kann es [das Kopftuch] und seine Benutzung in den Pornos auch als Arab- bzw. Muslimfacing beschreiben, denn soweit dies nachvollziehbar ist, sind die meisten Darsteller*innen weder arabischer Herkunft noch muslimischen Glaubens“. In diesem Kontext boomten die Filme von Mia Khalifa. Sie selbst ist als Christin im Libanon aufgewachsen und inszeniert sich selbst in ihrer Darstellung mit Hijab als Muslima: „Ihr Name zählte im Jahr 2014 zu den Meistgeklickten auf der Plattform PornHub“.7
„Refugee Pornos“
Seit dem Jahr 2015 steigt die Suche nach sogenannten „Refugee“-Pornos auch in Deutschland kontinuierlich an. In den Videos spielen Geflüchtete — die weiblich gelesen werden — oder Pornodarstellerinnen geflüchtete Personen, die sich nicht-weißen Personen unterwerfen. Somit spielt auch in diesem Kontext Macht und Dominanz eine zentrale Rolle.
Warum die Suchanfrage nach diesen Videos steigt, kann vermutlich auf die politische Lage im Jahr 2015 zurückgeführt werden. Der Politikwissenschaftler Mohamed Amjahid erkennt einen Zusammenhang: „Als die deutsche Bundesregierung die Geflüchteten aus Ungarn einreisen lässt und darüber monatelanger Streit ausbricht, suchen mit Abstand die meisten Menschen in Deutschland nach ‚refugee porn‘“. Danach kam die Bundestagswahl im Jahr 2017. Durch die AfD dominierten Flucht und Migration die Themenagenda. So nahm die Zahl der ‚Refugee‘-Suchanfragen auf der Pornoplattform xHamster in Deutschland um 114 Prozent auf deutlich mehr als 800.000 Klicks zu“.8
Neben den Machtspielen, um Dominanz und Unterwerfung, übt somit die politische Lage einen starken Einfluss auf das Konsumverhalten aus. „Bilder der Dominanz, weißer Männer über nicht-weiße Frauen, die geflüchtet sind oder Geflüchtete spielen, könnten dabei die politische Fantasie vieler Menschen hierzulande widerspiegeln“.9
Pornografie als Spiegel der Gesellschaft
Dass Pornografie mit verschiedenen Tabubrüchen Reize schafft, ist keine neue Schlagzeile. Aber wie gestaltet sich ein entsprechender Umgang mit dem antimuslimischen Rassismus in diesem Kontext? Welcher wertvolle Nutzen kann aus dem Material gezogen werden?
Die Herabwürdigung entlang der genannten Kategorien (Geschlecht, Herkunft, Klasse, Hautfarbe, Religion) macht deutlich, dass vor allem die intersektionale Line als wertvolles Instrument zur Analyse dient. Das bedeutet, dass explizit darauf geachtet wird, ob und welche Kategorien sich wann und wie überkreuzen. Ein Negativ-Beispiel in der Kategorie „Hijab-Porno“ würde bedeuten, dass eine verschleierte Muslima abgewertet dargestellt wird. Das heißt in diesem Kontext kreuzen sich die Kategorien: Geschlecht (cis Frau), Religion (Islam), Klasse (untere Schicht) und Hautfarbe (nicht-weiß im Sinne von westlich). Somit wirkt die Diskriminierungserfahrung auf vier verschiedenen Ebenen.
Amjahid (2018) schreibt, dass vieles daraufhin deutet, dass sich Männer vor allem aus der Mitte der Gesellschaft beim Anblick „exotischer Frauenkörper, die sich unterwerfen“, befriedigen. Er schließt daraus, dass sich die sexuelle Sehnsucht nach „dem Anderen“ durch alle Milieus der Gesellschaft zieht.
Die Diskussion kann also nicht mittels eines Verbotes oder durch eine Zensur des Materials von der Bildfläche verschwinden. Hinter diesen stereotypischen Darstellungen haben sich rassifiziertes Wissen bzw. rassistische Vorstellungen manifestiert, die sich dadurch nicht einfach auflösen lassen. Deshalb sollten wir die Augen auch vor (Porno-)Bildern nicht verschließen, sondern daraus lernen, um die dahinterstehenden (Macht-)Strukturen zu erkennen und zu verstehen.
„What pornography delivers is what it recites and exaggerates from the resources of compensatory gender norms, a text of insistent and faulty imaginary relations that will not disappear with the abolition of the offending text…[re-reading the text]… raises the possibility of re-signification as an alternative reading of performativity and of politics“.10
Begreifen wir Pornografie dieser Art als nützliches Analysehilfsmittel, dann können wir lernen das dahinterliegende Gedankenkonstrukt zu verstehen, um es zu dekonstruieren. Letztendlich kann dadurch Denormalisierung und Enthierarchisierung erreicht werden sowie die Schaffung einer integrativeren und gewaltfreieren Welt.
Zur Gastautor*in:
Politikerei ist ein Instagram-Account, der Aufklärungsarbeit im Bereich Politik und intersektionalem Feminismus leistet. Nach dem Motto “Gleichberechtigung ist für alle da” greift der Account aus der Ruhr-Area gesellschaftlich relevante Themen von Ableismus bishin zu Sex im Altersheim auf.
- Cis Gender bedeutet, dass sich Menschen mit dem eigenen Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. ↩
- Kempen, Claude C. (2020): Phobie, Fantasie und Fetisch? Antimuslimischer Rassismus und Sexismus in pornografischen Filmen. In: MOZ Publications, 2020 (26), S. 1–14. ↩
- Als Male Gaze wird der männlich-heterosexuelle Blick auf den weiblichen Körper im Film bezeichnet. Die Frau wird zum sexuellen Objekt und dadurch passiv. Der Mann wird dagegen aktiv. Der Begriff wurde von der Filmtheoretikerin und –Macherin Laura Mulvey geprägt. Siehe dazu: Mulvey, Laura (1980). „Visuelle Lust und narratives Kino”. Hrsg. Gislind Nabakowski et al. Frauen in der Kunst, Bd. 1, Frankfurt a. M.: Suhrkamp. S.30–46 (S.36). ↩
- Able-bodied ist eine Bezeichnung für Körper, die gesellschaftlich als psychisch und physisch gesund gelten. ↩
- Said, Edward W. (2009): Orientalismus. Frankfurt am Main: Fischer Verlag. ↩
- „Bezeichnet einen Prozess und eine Struktur, in denen Menschen nach rassistischen Merkmalen (Aussehen, Lebensformen oder imaginäre Merkmale) kategorisiert, stereotypisiert und hierarchisiert werden. In diesem Prozess wird ein rassifiziertes Wissen erstellt und die Struktur beruht auf diesem Wissen. Während «Rasse» im deutschen Sprachgebrauch vor allem mit dem Nationalsozialismus und vermeintlich natürlichen Menschenkategorien in Verbindung gebracht werden, betont das Wort Rassifizierung, dass es sich um konstruierte Kategorien handelt, die reale Effekte (Rassismus) haben“ (Bla.Sh Netzwerk 2019) ↩
- Vgl. Standard, Der (2020): Porno-Produzenten attackieren Aussteigerin, die Branche massiv kritisierte. Verfügbar unter: https://www.derstandard.at/story/2000118836049/porno-produzenten-attackieren-kritikerin-die-frueher-pornos-drehte (Stand 2021-03-26). ↩
- Amjahid, Mohamed (2018): Wann Flüchtlingspornos boomen. Verfügbar unter: https://www.zeit.de/gesellschaft/2018–05/sexismus-refugeeporn-fluechtlinge-pornografie-deutschland-analyse/komplettansicht (Stand 2021-03-26). ↩
- Ebd. ↩
- Butler, Judith (1997): Excitable Speech. A Politics of the Performative. London: Routledge. ↩